Rede Dr. Wolfgang Eßer
Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es fällt mir schwer, nach den intensiven Diskussionen, die wir jetzt geführt haben, zur weiteren Tagesordnung überzugehen. Es hilft nichts, wir haben eine breite Palette von Themen und Projekten, über die wir heute noch zu berichten, zu beraten und zu entscheiden haben.
Da die Situation ohnehin aufgeheizt ist, lassen Sie mich mit einem Thema beginnen, das uns mehr denn je Sorgenfalten ins Gesicht treibt. Ein Thema, bei dem sich die Politik immer noch aus der Verantwortung stiehlt. Die Rede ist von Private-Equity, versorgungsfremden Investoren und deren iMVZ. Wir haben ja heute bereits hinreichend über den Minister und seine Art, Politik zu machen, diskutiert. Einerseits die Zahnärzteschaft, die unter großem Verzicht und mit erheblichem Aufwand in der Pandemie die Versorgung aufrechterhalten hat, mit Vergütungskürzungen überziehen, andererseits tatenlos zusehen, wie Finanzinvestoren und Hedgefonds sich die Rosinen aus dem Gesundheitssystem picken und ihre satten Gewinne am deutschen Fiskus vorbei in Steueroasen bringen.
Bravo, das ist wirklich eine ausgewogene, versorgungsorientierte und zukunftsweisende Gesundheitspolitik. Der NDR hat mit seiner Reportage vor wenigen Monaten die Debatte um Investoren-MVZ in der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung wieder angeheizt. Besonders erschreckend war für mich das Interview mit einer angestellten Zahnärztin aus einem dieser MVZ. Die junge Frau schilderte aus erster Hand, wie sie sogar genötigt wurde, gesunde Zähne zu beschleifen, um den Profit zu maximieren.
Die ganze Perversion macht sich an diesem Beispiel deutlich: Wirtschaftlicher Druck und Einschränkung der Therapiefreiheit – gegen diese Fakten helfen auch keine Hochglanz-Werbebroschüren aus der Investorenbranche. Und das ist ganz sicher auch kein „Alarmismus“, wie uns das gerne vorgeworfen wird. Wir wissen, was in den Praxen abgeht und unter welchem Renditedruck die freie Therapieentscheidung zum Wohl der Patienten torpediert wird.
Handfeste Belege liefern auch die von uns beauftragten Gutachten. Jeder, der es nicht glauben will, bekommt es hier schwarz auf weiß präsentiert:
- Rosinenpickerei bei der Standortwahl,
- kaum Versorgung vulnerabler Gruppen,
- klare Renditeorientierung als Geschäftsmodell,
- Massiver Umsatz- und Ertragsdruck auf die angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte bei der Behandlung.
Und dennoch erleben wir in großen Teilen der Politik immer noch eine, ich will es mal vorsichtig ausdrücken, positive Stimmung gegenüber Investoren, während uns Freiberuflern und Standesvertretern solch groteske Sätze entgegenschlagen, wie „Egal wer versorgt, Hauptsache, es wird versorgt!“ Will man unser Gesundheitssystem, von dem Politiker gerne sagen, es sei das beste der Welt, dauerhaft und unumkehrbar schädigen, dann ist man hier auf dem besten Weg: Weiter so, Herr Minister!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nach drei Jahren TSVG muss man sich eingestehen, dass die gesetzlichen Regelungen nicht so wirken, wie wir uns das anfangs erhofft haben. Allein im 2. Halbjahr 2021 zählen wir in unserer Statistik 30 Prozent neue Investoren-MVZ. Ein Zenit ist nicht in Sicht.
Noch nicht berücksichtigt ist in dieser Statistik die jüngste Übernahme der MVZ-Kette „Meindentist“ durch den internationalen Großinvestor „Medicover“. 15 MVZ in Berlin und Potsdam, bislang alle in rein zahnärztlichem Besitz, werden jetzt in ein schwedisches Firmenkonglomerat von hunderten Praxen, Kinderwunsch-Kliniken und Fitnesscentern überführt. Von einem Ende der Goldgräberstimmung in der zahnärztlichen Versorgung kann also keine Rede sein. Da wird unter dem Schutz gesetzlicher Regelungen munter weiter eingekauft.
Gravierend sind auch die Entwicklungen in Teilen der humanmedizinischen Versorgung, wie das Gutachten der KV Bayerns und die jüngsten Medienrecherchen des NDR unterlegen. Ob Labormedizin, Nephrologie, Radiologie, Fertilisationsmedizin oder Augenärzte, da sehen wir teilweise riesige Probleme für die Versorgung. Wie prophezeit, bilden sich hier marktbeherrschende Strukturen mit Oligopolen und Monopolen heraus, die nicht nur die Niederlassungsfreiheit sondern auch die freie Arztwahl konterkarieren.
Vor diesem Hintergrund haben sich Bundesärztekammer, der SpiFa und der Virchow-Bund neben anderen ärztlichen und zahnärztlichen Organisationen zuletzt mit dringlichen Mahnungen und Appellen gegenüber der Politik positioniert. Auch die KBV hat auf ihrer VV im Mai das Thema endlich kritisch in den Blick genommen und für den Herbst eine Klausurtagung zu iMVZ beschlossen. Insofern ist hier einiges in Bewegung geraten. Und es wirkt umso grotesker, dass der Koalitionsvertrag der Bundesregierung zu diesem Thema nichts, aber auch gar nichts sagt.
Umso wichtiger ist es, dass unsere Gespräche auf Landesebene nicht vergebens waren und die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) uns im Kampf gegen iMVZ vor wenigen Wochen erneut und einstimmig den Rücken gestärkt hat. Das ist ein erster Erfolg, ein Zeichen der guten Zusammenarbeit der KZBV mit den KZVen und – das möchte ich an dieser Stelle betonen – auch mit der BZÄK. Angesichts dessen bin ich vorsichtig optimistisch, dass die Bundesregierung nicht weiter die Augen verschließen kann, gerade mit Blick auf die im GMK-Beschluss genannte Bundesratsinitiative.
Ein erster Hoffnungsschimmer könnte auch sein, dass sich zuletzt die für Gesundheitspolitik zuständige Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten sehr klar und deutlich gegen die Profitorientierung im Gesundheitswesen positioniert hat. Das ist nicht trivial, weil der Vorsitzende der Gruppe, Boris Velter, seit einigen Monaten die Leitungsabteilung im BMG führt und als einer der engsten Berater von Minister Lauterbach gilt. Der Gesundheitsminister selbst hat sich schon zu iMVZ geäußert – im März, öffentlich auf der VV der KBV, vor laufender Kamera und für alle online abrufbar. Der Minister hat dort zugesichert, die Fremdinvestorenproblematik "definitiv" in den Blick nehmen zu wollen.
Könnte man dem Wort des Ministers Glauben schenken, woran ich inzwischen erhebliche Zweifel habe, wäre ich vorsichtig optimistisch. Ich kann nur hoffen, dass Herr Lauterbach seine eigenen Worte ernst nimmt. Der Zustrom versorgungsfremder Investoren in das Gesundheitssystem muss jetzt schnellstens gestoppt werden.
Unsere Vorschläge hierzu liegen auf dem Tisch:
- Wenn überhaupt sollten Krankenhäuser zukünftig nur innerhalb eines bestimmten Einzugsbereiches um das Krankenhaus berechtigt sein, zahnärztliche MVZ zu gründen, und nur – und das ist entscheidend – wenn sie auch schon vorher an der zahnärztlichen Versorgung beteiligt waren. Neben der räumlichen kommt es vor allem auf diese fachliche Begrenzung an.
- Wichtig wäre es, zusätzlich die MVZ-Gründung durch Krankenhäuser in urbanen Planungsbereichen, die bereits bedarfsgerecht versorgt sind, auszuschließen, wenn der Versorgungsanteil zahnmedizinischer iMVZ 2 Prozent der Versorgung dieses Planungsbereichs beträgt.
- Darüber hinaus braucht es dringend Transparenz im Investoren-Dickicht. Das MVZ-Register und die Hinweispflicht am Praxisschild und im Internet wären hier ganz wichtige Schritte.
Das ist der klare Forderungskatalog, mit dem wir uns an die Politik wenden. Herr Minister, was Investorenketten in der Pflege angeht, sprechen Sie rückblickend von einem „Versagen der Politik“. Lassen Sie es in der zahnärztlichen Versorgung nicht auch noch so weit kommen! Zählen Sie eins und eins zusammen, verschließen Sie nicht länger die Augen und handeln Sie endlich, bevor es zu spät ist!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die ganze Debatte um iMVZ ist eng verknüpft mit der Frage, wie unsere Versorgungsstrukturen in den nächsten 5, 10 und 15 Jahren aussehen sollen. Die Herausforderungen sind hinlänglich bekannt. Wir wissen, wie sich unser Berufsstand demographisch entwickelt, dass die geburtenstarken Jahrgänge aus den 60er und 70er Jahren ausscheiden, dass die Angestelltenverhältnisse zunehmen.
Auch wenn wir bislang den Eindruck gewinnen müssen, dass sich der Minister nicht sonderlich für dieses Thema interessiert, sondern mit dem Referentenentwurf zu den GKV-Finanzen geradezu die Axt an die Niederlassungsbereitschaft junger Kolleginnen und Kollegen legt, können wir als KZBV und KZVen nicht die Hände in den Schoß legen. Die Sicherstellung der wohnortnahen, flächendeckenden und qualitativ hochwertigen Versorgung, das ist die Kernaufgabe des KZV-Systems, unsere DNA. Daher halten wir trotz allem, was der Minister bei den GKV-Finanzen plant, an unserem Antrag zur dauerhaften Aufhebung der Obergrenzen fest. Das können wir auch guten Gewissens in Zeiten finanzieller Unterdeckung bei der GKV fordern. Aus unserem Versorgungsbereich droht kein Kostenschub. Das habe ich vorhin bereits sehr klar skizziert.
Das Ende der Budgetierung, wie es der Koalitionsvertrag für den hausärztlichen Bereich vorsieht, das ist der ganz zentrale Lösungsansatz, um bei den jungen Kolleginnen und Kollegen für mehr Planungssicherheit zu sorgen und so die Niederlassungsbereitschaft zu stärken und ältere Kolleginnen und Kollegen in der Versorgung zu halten. Hier sind Obergrenzen nach wie vor der Motivationskiller Nr. 1
Also: Weg damit!
Ein zweites Thema, auf das ich an dieser Stelle eingehen möchte, sind die Sicherstellungsinstrumente nach §105 SGB V. Unter normalen Umständen hätte ich heute die Empfehlung ausgesprochen, die Instrumente präventiv zu nutzen. In der aktuellen Situation und mit dem Wissen, dass da auch Mittel der Zahnärzteschaft reinfließen, würde ich das aber zunächst zurückstellen wollen. Wir müssen jetzt in Ruhe schauen, wie das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz am Ende aussehen wird und welche Belastungen auf den Berufsstand zukommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir alle wissen, die Bürokratie ist und bleibt ein weiterer entscheidender Faktor, der junge Zahnärztinnen und Zahnärzte von der Niederlassung zurückschrecken lässt. Das bestätigen die Untersuchungen des IDZ immer wieder. Die Missstände haben wir auch in unserer Agenda Mundgesundheit angeprangert. Insofern begrüßen wir es, dass bei diesem Thema im Koalitionsvertrag insbesondere ein „Bürokratieabbaupaket“ für das Gesundheitswesen vorgesehen ist.
Auf der letzten VV haben wir beschlossen, nicht länger abzuwarten, sondern aus eigener Initiative tätig zu werden und einen konkreten Entbürokratisierungskatalog zu entwerfen, der sowohl die Lage in den Praxen als auch auf KZV-Ebene in den Blick nimmt, damit dieses Vorhaben der Ampel nicht auch wieder nur eine leere Worthülse bleibt. Dazu hatten wir uns Mitte März mit einer strukturierten Abfrage an Sie, an die KZVen, gewandt. Bedanken darf ich mich an dieser Stelle für die hilfreichen Rückmeldungen und Vorschläge.
Die Rückmeldungen sind insgesamt sehr vielschichtig und zeigen auf, in welchen Bereichen die Bürokratielast als besonders hoch empfunden wird. Dazu gehören Abrechnung und Vergütung sowie die Integration der TI-Anwendungen in die Praxis-EDV. Zwei Bereiche, die uns besonders häufig genannt wurden. Zugleich – und auch darauf möchte ich hier hinweisen – wurde an uns der Wunsch nach einer Digitalisierung von papiergebundenen Dokumenten herangetragen. Das zeigt ja nochmal, dass die Digitalisierung auch Chancen birgt und wie hoch der Bedarf an nutzenstiftenden Anwendungen bei der Digitalisierung ist. Ich werde auf dieses Thema gleich nochmal näher eingehen.
Was den Maßnahmenkatalog zur Bürokratie angeht, wollen wir in einem nächsten Schritt jetzt die Praxen unmittelbar beteiligen, da uns hierzu bisher nur sehr wenige Reaktionen aus den von Ihnen einbezogenen regionalen Zahnärztegruppen vorliegen. Natürlich werden wir die Umfrage für die Zahnärztinnen und Zahnärzte möglichst niederschwellig gestalten. Damit wollen wir neben der reinen Benennung von Problemfeldern auch konkrete Lösungsvorschläge von den Kolleginnen und Kollegen an der Basis einholen. Hierzu werden wir noch einmal auf Sie zukommen. Soll das Projekt Erfolg zeigen, sind wir hier besonders auf Ihre Mithilfe angewiesen.
Unser Ziel ist es, der Politik am Ende dieses Prozesses einen Maßnahmenkatalog mit konkreten Vorschlägen zum Abbau von umständlichen, überflüssigen oder unverhältnismäßig aufwändigen Vorgaben in Gesetzen und Vereinbarungen vorzulegen. Adressaten der Maßnahmenvorschläge sollen in erster Linie der Gesetzgeber im Bund und in den Ländern, die Bundesmantelvertragspartner und im Hinblick auf die TI-Anwendungen auch die gematik und das BMG sein. Einer gemeinsamen Prüfung werden wir aber auch die Bürokratie unterziehen, die wir im Innenverhältnis untereinander, im Zusammenwirken von KZBV und KZVen erzeugen. Aus meiner Sicht ist das Bürokratieabbauprojekt ein Dauerprojekt der KZBV und der KZVen für die kommenden Jahre.
Ich möchte an dieser Stelle mit der Digitalisierung auf einen weiteren Dauerbrenner zu sprechen kommen, der ja mittelbar auch mit dem von uns geforderten Bürokratieabbau zusammenhängt. Was in anderen Ländern selbstverständlich ist, wird im deutschen Versorgungsalltag, in den Praxen, weiterhin vor allem als großes „Ärgernis“ wahrgenommen.
Ich muss die Probleme hier gar nicht en détail ausbreiten. Georg Pochhammer trägt uns ja immer mit der notwendigen Geduld den neusten Unfug vor, den Herr Leyck Diecken und seine Mannschaft fabrizieren. Man kann nur hoffen, dass die politisch Verantwortlichen erkannt haben, dass bei der Digitalisierungsstrategie der Fisch vom Kopf her stinkt. Für den Spätsommer ist jedenfalls eine „nationale Digitalisierungsstrategie“ angekündigt. Auf dieser Grundlage werden dann wohl weitere Digitalisierungsgesetze der Regierung folgen.
Wir warten jetzt ab, was uns das BMG bei der Finanzreform offiziell auf den Tisch legt. Dann werden wir entscheiden, wie wir uns in den Strategieprozess als Selbstverwaltungspartner einbringen. Was wir wollen und in den Praxen dringend brauchen, haben wir immer wieder und zuletzt in unserer Agenda Mundgesundheit klar und in aller Deutlichkeit formuliert. Heute legen wir mit unseren Anträgen einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vor und bitten Sie erneut um Ihre Zustimmung.
Die Digitalisierung muss zeitlich, wirtschaftlich und organisatorisch verkraftbar und umsetzbar sein und zugleich einen erkennbaren Mehrwert entfalten. Dazu gehört sicher auch, dass Praxen nicht länger als Experimentierlabor für unausgegorene TI-Anwendungen der gematik herhalten. Die Blaupause für Projekte, die die Berufswirklichkeit und die Belange der Anwender berücksichtigen, bietet das von uns entwickelte und seit wenigen Tagen im Roll-Out befindliche „Elektronische Beantragungs- und Genehmigungsverfahren“.
Das EBZ ist eine erste wirklich bahnbrechende Anwendung, die eben nicht von der Politik verordnet, sondern von uns selbst entwickelt wurde. Lieber Martin Hendges, an dieser Stelle möchte ich Dir und deinen Leuten persönlich meinen herzlichen Dank für Euren großen Einsatz aussprechen, den Ihr über viele Monate und Jahre in das EBZ gesteckt habt. Das war ein langer Weg, aber ich finde, das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen.
Da fließt alles zusammen, was wir immer wieder fordern. Das ist der Maßstab, den wir auch in unseren Anträgen an die Digitalisierung legen:
- Mehrwert für die Versorgung,
- spürbare Verbesserungen für den Praxisalltag,
- Abbau von Bürokratie.
Umso fassungsloser bin ich über das Agieren einiger Kollegen in dieser Sache. Querschüsse aus den eigenen Reihen sind wir ja leider in den letzten Jahren gewohnt. Aber über einen Beitrag im DFZ erfahren zu müssen, dass der Freie Verband jetzt einen Brief an Herrn Lauterbach aufgesetzt hat, damit den bundesweiten Echtbetrieb des EBZ in Frage stellt und allen Ernstes vom Minister eine, ich zitiere, „adäquate Übergangsphase und eine ausreichende Test- und Einführungsphase“ fordert. Das setzt dem ganzen noch die Krone auf.
Für dieses Vorgehen, das im Übrigen nicht einmal an den richtigen Adressaten gerichtet ist, fehlt mir jegliches Verständnis. Zumindest beim EBZ, einem Leuchtturmprojekt der Selbstverwaltung, über das wir auch hier in der VV ausführlich berichtet und beraten haben, hätte man konstruktive Unterstützung erwarten dürfen.
Lieber Harald Schrader, liebe Frau Kaps‑Richter, lieber Herr Öttl, bevor Sie zum Minister rennen und um Unterstützung bitten, sollten Sie als Freier Verband zuerst mit uns sprechen. Insbesondere wenn es sich um ein Thema der Selbstverwaltung handelt. Gerade in der aktuellen Situation sollten wir gemeinsam, Schulter an Schulter, für die Interessen der Zahnärztinnen und Zahnärzte und der Patientinnen und Patienten eintreten und uns nicht gegenseitig ans Schienbein treten.
Auch auf ein anderes Digitalisierungsprojekt aus der Selbstverwaltung mache ich noch kurz aufmerksam. Es geht um die Früherkennungsuntersuchungen für Kleinkinder, bekanntermaßen bereits seit 2019 in der Versorgung verankert. Ein sehr zentrales Projekt, dass ich angesichts des Entwurfs zu den GKV-Finanzen allerdings unter Vorbehalt stelle. Unser Ziel ist es, dass die FU von den Patienten auch tatsächlich in Anspruch genommen werden. Dort haben wir– gerade im Vergleich zu den ärztlichen Untersuchungen – noch Luft nach oben: Einer Inanspruchnahmerate von 95 % bei den ärztlichen Untersuchungen stehen bei uns gerade einmal 35-40 % gegenüber.
Daher haben wir uns auf den Weg gemacht und Vorgespräche mit der KBV und dem GKV-SV geführt und jetzt ein Beratungsverfahren im G‑BA auf den Weg gebracht, um die Dokumentation unserer zahnärztlichen FU zu vereinheitlichen und im „Gelben Heft“ zu verankern. Damit erhalten Eltern künftig alle relevanten Informationen der U-Untersuchungen ihrer Kinder aus einer Hand. Das hat auch noch einen anderen Vorteil. Das Gelbe Heft ist bereits als Medizinisches Informationsobjekt (MIO) digitalisiert. Daher bin ich optimistisch, dass wir zeitnah auch die Dokumentation der zahnärztlichen FU in die ePA bringen können.
Als erstes MIO haben wir das eBonusheft spezifiziert. Zukünftig, als weiteres zahnärztliches MIO, haben wir auf unserer Agenda den elektronischen Implantatpass. Auch hier gilt: Konkrete Projekte aus unserem Versorgungsbereich, aus der Selbstverwaltung. Hier wird der Mehrwert der Digitalisierung deutlich, für die Patientinnen und Patienten, aber auch für die Zahnärzteschaft.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
auch beim Thema Corona-Politik möchte ich mich heute eher kurzhalten, trotz der aktuell grassierenden „Sommerwelle“. Es war und ist ja bekanntermaßen das Lieblingsthema unseres Gesundheitsministers. Zu Corona und Pandemiebewältigung haben wir viel von ihm gehört, viele Ankündigungen und Versprechen.
Was wir zu sehen bekommen haben, war:
- überhastete und handwerklich schlechte Gesetzentwürfe – Stichwort einrichtungsbezogene Impfpflicht,
- ein öffentliches Tauziehen mit dem Bundesjustizminister – Stichwort Maskenpflicht,
- fehlender Rückhalt in der Koalition und politisches Missmanagement – Stichwort allgemeine Impfpflicht.
Auf andere Punkte, wie das Kommunikationsdesaster beim Genesenenstatus, möchte ich da gar nicht näher eingehen. Nur noch eine Sache, weil es ein Paradebeispiel dafür ist, wie der Minister „Wertschätzung“ für die Praxen definiert: Es geht um den Pflegebonus. Ich habe es vorhin schon kurz angesprochen. Es ist ein Armutszeugnis, dass nun gerade bei dieser Einmalzahlung, die ja in erster Linie die Leistungen in der Pandemie würdigen soll, das Personal in den Praxen leer ausgeht.
Was soll die vielen tausend Medizinischen und Zahnmedizinischen Fachangestellten denken, die in zwei Jahren Pandemie Tag für Tag in den Praxen ihren Mann bzw. ihre Frau gestanden haben? Die im letzten Augenblick noch vereinbarte Steuerbefreiung für Arbeitgeber-Boni ist ehrlich gesagt nichts anderes als eine nett verpackte Mogelpackung, die am Ende die Zahnärztinnen und Zahnärzte aus der eigenen Tasche bezahlen sollen. Das ist sicher nicht die Art staatlicher Anerkennung, die die Praxen und ihre Teams nach zweieinhalb Jahren an vorderster Corona‑Front erwarten durften.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in der Gesundheitspolitik hat sich pandemiebedingt einiges angestaut. In den letzten Wochen wird der Minister nicht müde, mit immer neuen Ankündigung vor die Presse zu treten: Digitalisierungsstrategie, Krankenhausreform, Pflegeentlastungsgesetz, Gesundheitskioske, Cannabis-Legalisierung.
Die Agenda ist lang. Aber auch hier gilt: Viele Ankündigungen, bislang kaum geliefert. Quasi nebenher soll es jetzt noch eine Reform des Infektionsschutzgesetzes geben, da die bisherigen Regelungen zum 23. September auslaufen. Das ist Teil des 7-Punkte-Plans von Minister Lauterbach für den Herbst. Seit letzter Woche sind wir zumindest etwas schlauer, wohin die Reise diesmal gehen könnte, wenn wir an uns das Chaos im Frühjahr zurückerinnern.
Am Freitag hat der Corona‑Sachverständigenrat seine Evaluation vorgelegt. Auch die Länder haben sich in einer Sondersitzung der GMK über konkrete Maßnahmen beraten. Und in welche Richtung das BMG denkt, wissen wir aus dem Gesetzentwurf, der am Freitag vom Kabinett beschlossen wurde. Die darin angedachte Verlängerung der Impfberechtigung für Zahnärztinnen und Zahnärzte werte ich mal als positive Nachricht, wenn ich an die vielen Gespräche mit dem BMG zur Impfverordnung denke, das harte Stück Arbeit für uns, um die Bürokratielasten für die Praxen so gering wie möglich zu halten. Vielleicht war die Mühe mit Blick auf die aktuellen Infektionszahlen sowie einer möglichen vierten Impfung der Bevölkerung nicht ganz umsonst.
Auf einem anderen Blatt steht die Frage, mit welcher Motivation die Zahnärztinnen und Zahnärzte beim Impfen im Herbst und Winter aushelfen sollen? Das wird sicherlich jeder auch vor dem Hintergrund der geplanten Finanzreform überprüfen müssen. Da wird jetzt jeder in sich gehen müssen und selbst entscheiden, ob er bereit ist, den Minister an dieser Stelle zu unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
GKV-Finanzen, Bürokratieabbau, Digitalisierung – würden uns all diese Themen nicht schon genug beschäftigen, erreicht uns aus Brüssel ein Thema, dessen Bedeutung für die Versorgung in keiner Weise unterschätzt werden darf. Wie wir bereits auf unserer Herbst-VV berichtet haben, verfolgt die EU-Kommission das Ziel, im Rahmen des New Green Deals den Quecksilberverbrauch in der Industrie massiv zurückzufahren. Aktuell werden auf EU-Ebene nicht nur weitere Einschränkungen zur Verwendung von Dentalamalgam beraten; es geht sogar um ein komplettes Amalgamverbot mit drei möglichen zeitlichen Ausstiegszenarien: 2025, 2027 und 2030. Ein Verordnungsentwurf der EU-Kommission ist für das 4. Quartal 2022 geplant.
Setzt die Kommission ihre Ziele um, wird sich für uns etwas ganz Grundlegendes verändern mit gravierenden Auswirkungen für die Patientenversorgung. Gemeinsam mit der Wissenschaft und der Bundeszahnärztekammer haben wir jetzt mehrfach gegenüber der Kommission deutlich gemacht, wie wichtig es für die Patientenversorgung ist, von der intendierten Änderung ausdrücklich Ausnahmen bei der Verwendung von Dentalamalgam vorzusehen – insbesondere für vulnerable Gruppen. Ich sage es Ihnen aber ehrlich und in aller Klarheit: Ich befürchte, dass die EU für versorgungspolitische Bedenken kein Ohr hat. Dass wir hier mit unseren Argumenten nicht durchdringen werden.
Die vorbereitenden politischen Aktivitäten in Richtung eines „phase out“ oder „phase down“ von Dentalamalgam aus der Versorgung laufen jedenfalls munter weiter. Was heißt das für uns? In Deutschland, in ganz Europa und weltweit, nirgends steht ein plastisches Füllungsmaterial zur Verfügung, das den Einsatz von Amalgam in allen Indikationsbereichen überflüssig machen würde. Wir sind hier vollständig abhängig von der Forschung.
Über die betriebswirtschaftlichen Hürden habe ich da noch gar nicht gesprochen: Wie und unter welchen Voraussetzungen soll künftig die Versorgung gestaltet werden, falls Dentalamalgam als Füllungsmaterial entfallen sollte? Von der Ampelkoalition gibt es dazu bisher keine klaren Signale. Wir stehen aber mit dem BMG in einem engen Austausch und werden hierzu in den nächsten Wochen weitere Gespräche führen. Ob wir wenigstens bei diesem Thema in der politischen Führungsebene des BMG ein offenes Ohr finden, werden wir dann sehen.
Das Ziel ist jedenfalls klar: Es muss auch in Zukunft eine bestmögliche zahnärztliche Versorgung – unter betriebswirtschaftlich adäquaten Abrechnungsmöglichkeiten – gewährleistet sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch wenn wir heute primär eine Arbeits-VV haben und auch wenn angesichts des Finanzdefizits bei den Kassen ganz schwere Zeiten vor uns liegen, möchte ich das große Thema unserer Zeit, den Krieg in der Ukraine, nicht ausklammern. Das Leid der Menschen, der Ukrainerinnen und Ukrainer,bleibt unermesslich. Das Land wird von Putin und seinen Vasallen seit Monaten in Schutt und Asche gelegt.
Angesichts bombardierter Einkaufszentren, Schulen, Krankenstationen ist es mir wichtig, auch in unserer heutigen Runde zu betonen, dass die klaren Worte, die wir in unserer Resolution Anfang März formuliert haben, weiter gelten. Dass wir uns trotz der vielen anderen Themen, die auf unserer Agenda stehen, gegen jeden Gewöhnungseffekt wehren und hier weiter ganz klar und solidarisch an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer stehen. Wir können nicht in die Zukunft sehen. Wir wissen nicht, wie dieser Krieg weitergehen wird.
Ganz zum Schluss möchte ich mich bei allen Beteiligten, in der Selbstverwaltung und insbesondere in den Praxen vor Ort, für das Engagement der letzten Wochen und Monate von Herzen bedanken: Danke, dass Sie so tatkräftig mitanpacken und vor Ort alles tun, um die Menschen bestmöglich zu versorgen und humanitär zu unterstützen.
Und noch einmal richte ich meine herzliche Bitte an Sie alle, wo immer möglich, auch weiterhin mit ihrer Spende zu helfen.
Bild: © KZBV/Knoff