Rede Dr. Wolfgang Eßer
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
seien Sie alle auch im Namen der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung auf das Herzlichste begrüßt.
Liebe Frau Kappert-Gonther, lieber Herr Müller,
ganz besonderen Dank für Ihre Grußworte. Auch von meiner Seite wünsche ich Ihnen persönlich alles Gute, Schaffenskraft und viel Gesundheit für das neue Jahr.
Meine Damen und Herren,
der Klimawandel ist eines der beherrschenden Themen unserer Zeit. Einen solchen Klimawandel müssen wir leider auch im Verhältnis des Gesundheitsministers zu uns freiberuflich tätigen Ärzten und Zahnärzten und zu den Körperschaften der berufsständischen und gemeinsamen Selbstverwaltung konstatieren.
Die Expertise der Selbstverwaltung bei den Beratungen zu wichtigen Reformvorhaben im Gesundheitswesen außen vor zu lassen, wie jüngst bei der Kommission zur Krankenhausreform geschehen, noch dazu die Akteure der Selbstverwaltung öffentlich wiederholt als Lobbyisten zu bezeichnen, auf die es nicht zu hören gelte, zeigt nicht nur, mit welcher Grundüberzeugung uns der Gesundheitsminister gegenübertritt, sondern markiert auch einen Tiefpunkt einer bislang vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenarbeit. Man muss besorgt die Frage stellen, ob damit das Subsidiaritätsprinzip aufgekündigt werden soll.
Mit großem Elan und beachtlichem Erfolg haben wir als Zahnärzteschaft in den vergangenen Jahren an unserem erklärten Ziel gearbeitet, die Mundgesundheit in Deutschland kontinuierlich und nachhaltig zu verbessern und dabei gleichzeitig unseren Anteil an den Gesamtausgaben der Krankenkassen stetig zu senken. Die Erfolge in der Kariesbekämpfung, der Verbesserung der Prävention bei Kindern und Senioren und der Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Handicap sind beredte Beispiele.
Während in anderen Versorgungsbereichen die Ausgaben stetig gewachsen sind, haben wir gleichzeitig die anteiligen Ausgaben der Krankenkassen für die zahnärztliche Versorgung um gut ein Drittel gesenkt. Statt aber diese Erfolge seitens der Politik zu honorieren, hat uns die Ampelkoalition mit dem FinStG die strenge Beschneidung des Honorarwachstums und die Wiedereinführung der strikten Budgetierung auferlegt. Und das nach zwei Jahren großer wirtschaftlicher Einbußen aufgrund der Pandemie und in Zeiten grassierender Inflation und Energiekostenexplosion.
Damit aber nicht genug: Nach jahrelangem Ringen und mehreren Anläufen ist es uns 2021 gemeinsam mit der Wissenschaft im G‑BA gelungen, die Grundlagen für die dringend notwendige Bekämpfung der großen Volkskrankheit Parodontitis zu schaffen.
Im großen Konsens, gemeinsam mit den Kassen, der Patientenvertretung, den Unparteiischen und dem BMG, und im Wissen und mit Zustimmung aller Beteiligten zu den damit verbundenen finanziellen Mehraufwendungen konnten wir den gesetzlich Versicherten eine wirksame und auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand basierende Parodontitis-Therapie garantieren.
Mit dem GKV‑Finanzstabilisierungsgesetz haben der Minister und die Ampel im Zielkonflikt zwischen Versorgungsnotwendigkeit und dem Stopfen von Finanzlücken im vergangenen Jahr diesen von allen Seiten gefeierten „Meilenstein“ für die Mund- und Allgemeingesundheit quasi über Nacht und per Federstrich zur Disposition gestellt und damit auch die Empfehlungen des Bundesrates in den Wind geschlagen.
Dass der Minister im Wissen um die unausweichlichen negativen Folgen der fehlenden Finanzierung im Hinblick auf die Versorgung den Menschen immer wieder versprochen hat, es würde keine Leistungskürzungen geben, kann in diesem Zusammenhang nur als politischer Zynismus bewertet werden. Die Leidtragenden dieser Politik sind die Patientinnen und Patienten.
Deshalb appelliere ich in aller Dringlichkeit an die Verantwortlichen und den Minister, diese versorgungspolitische Fehlentscheidung im angekündigten Folgegesetz zu korrigieren und schnellstmöglich auch die strikte Budgetierung wieder rückgängig zu machen.
Meine Damen und Herren,
das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist nur eines von vielen Beispielen, die mich zu der Überzeugung kommen lassen, dass der Wert der ambulanten freiberuflichen Versorgung bei vielen Politikern zunehmend aus dem Blick gerät. Paradigmatisch steht dafür auch die Kommerzialisierung der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung, der die Politik bis heute Tür und Tor öffnet.
Von Beginn an hat die KZBV bei diesem Thema den Finger in die Wunde gelegt und mit zahlreichen Analysen und zwei Gutachten nachgewiesen, welche Gefahren für die Patientenversorgung bestehen, wenn man den Spekulanten und Großinvestoren die Versorgung überlässt.
Der Minister hat pünktlich zum „Weihnachtsfest“ in einem großen Interview in der Bild am Sonntag angekündigt, der Profitgier der Investoren endlich ein Ende zu bereiten. Noch in diesem Quartal soll ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht werden, der – und ich zitiere den Minister – „den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen unterbindet“. Ich kann nur hoffen, dass Herr Lauterbach seine Worte aus einem Tweet um die Weihnachtszeit ernst gemeint hat, als er „vom letzten schönen Weihnachtsfest für profitorientierte Ketten von Arztpraxen“ sprach.
Nachdem die Politik über Jahre die Augen verschlossen hat und wir uns obendrein solch groteske Sätze anhören mussten, wie „Es ist gleichgültig, wer versorgt, Hauptsache es wird versorgt“, stimmt mich diese jüngste Ankündigung des Ministers zumindest vorsichtig optimistisch – gerade weil bei diesem Thema mittlerweile nicht nur große Teile der Ärzteschaft, sondern auch die Länder geschlossen unsere Sorgen teilen und derzeit sogar selbst an einer gesetzlichen Initiative arbeiten.
Selbst höchstkarätige Rechtskundige bestätigen, dass die Politik die erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen rechtssicher umsetzen kann, wenn sie nur will. Soll unser Gesundheitssystem auch in Zukunft gemeinwohlorientiert und freiberuflich geprägt bleiben, brauchen wir jetzt dringend eine räumlich-fachliche Gründungsbeschränkung für Krankenhäuser und ein Transparenzregister für MVZ. Nur so kann das bislang ungehinderte Wachstum investorengeführter MVZ endlich effektiv begrenzt werden.
Meine Damen und Herren,
Ich hoffe sehr darauf, dass Sie diese Auffassung teilen und unterstützen. Insofern bleibe ich zuversichtlich und wünsche Ihnen allen für 2023 nur das Beste und viele angenehme Gespräche.
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