6. Vertreterversammlung
- Startseite
- Reden des Vorstands
- 6. Vertreterversammlung: Martin Hendges
Rede Martin Hendges
Die Rede wurde bei der 6. Vertreterversammlung am 4. und 5. Juni 2025 in Köln gehalten. Es gilt das gesprochene Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Gäste,
ich darf Sie ganz herzlich im Namen des Vorstandes hier in Köln zu unserer sechsten Vertreterversammlung in dieser Amtsperiode willkommen heißen.
Mussten wir uns in der letzten VV noch ganz aktuell mit dem Scheitern der damaligen Ampelregierung auseinandersetzen, blicken wir heute auf eine neue Bundesregierung, die sich seit knapp einem Monat im Amt befindet. So erhielten 17 Ministerinnen und Minister am 6. Mai vom Bundespräsidenten ihre Ernennungsurkunden und das nach einer sicherlich historischen Kanzlerwahl, deren Verlauf Deutschland nach innen und außen nicht gerade gestärkt hat.
Man muss sich schon fragen, mit welchem Verantwortungsbewusstsein und scheinbar fehlendem Weitblick der ein oder andere Bundestagsabgeordnete bzw. die eine oder andere Bundestagsabgeordnete hier unterwegs ist. Wir wollen aber heute und morgen im Rahmen unserer VV nach vorne schauen und freuen uns zunächst einmal sehr darüber, dass Frau Warken zur neuen Bundesgesundheitsministerin ernannt worden ist und von Herrn Sorge und Dr. Kippels als parlamentarische Staatssekretäre tatkräftig unterstützt wird.
Allem voran ist es als sehr positiv zu werten, dass Frau Warken in ihrer Regierungserklärung den so wichtigen Dialog mit der Selbstverwaltung in den Vordergrund gerückt hat und damit die Möglichkeit endlich wieder besteht, unsere Fachexpertise in anstehende Gesetzgebungsverfahren und mögliche Strukturreformen einbringen zu können.
Wer in die Zukunft blicken will, muss in der Gegenwart leben und aus der Vergangenheit lernen. Politik und auch wir als Selbstverwaltung sollten genau das tun. Wo stehen wir im Gesundheitswesen und im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung heute, wo wollen wir hin, welche Herausforderungen liegen vor uns und welche Lehren ziehen wir aus der Vergangenheit?
Die Beantwortung dieser wichtigen Fragen bedingt, auch die Perspektive aller Beteiligten im Gesundheitswesen – also auch die unserer Patientinnen und Patienten, der Kassen und der Politik – mit einzubeziehen, um realistisch und zielorientiert die vertragszahnärztliche Versorgung weiter ausgestalten und sicherstellen zu können. Dieser Perspektivwechsel ist schon deshalb so wichtig, da unzweifelhaft die sozialen Sicherungssysteme unter massivem Druck stehen. Damit muss auch eine neue Bundesregierung Lösungen finden, wie ein weiteres Auseinanderklaffen von Beitragseinnahmen und Ausgaben verhindert und eine nachhaltige Finanzierung möglich gemacht werden kann.
Und die Zutaten für diesen „Eintopf“, der da gekocht werden muss, sind in großen Teilen schwer verdaulich: Demografischer Wandel, damit steigende Krankheitslasten, versicherungsfremde Leistungen, Kostenexplosion im Arzneimittelbereich, das Problem der Krankenhausfinanzierung, Notfallversorgung, Terminengpässe bei Fachärzten, Migration, Bürokratielast, Praxissterben und Konzentrationsprozesse in der Versorgung, iMVZ, Tendenz zur Anstellung, mangelndes Gesundheitsbewusstsein von Teilen der Bevölkerung, Vollkaskomentalität, steigende GKV-Beiträge mit entsprechenden Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, Qualität bzw. „Health outcome“ u.v.m.!
Die Suche nach Rezeptvorschlägen, wie man aus diesen Zutaten eine kraftvolle Consommé fertigen kann, lässt nicht lange auf sich warten. Die Zahl der Köche, die hier Vorschläge unterbreiten, ist groß. Leider sind viele Köche dabei, die zwar Kochbücher schreiben, aber selbst nicht kochen müssen. Die einen sollen die Suppe bezahlen, die anderen wollen sie kochen, müssen sie aber nicht auslöffeln.
Rezeptvorschlag der Kassen: „Ausgabenmoratorium über sämtliche Leistungsbereiche“, also Kostendämpfung nach dem „Rasenmäherprinzip“!
Rezeptvorschlag der Gesundheitsökonomen: Kostendämpfungsmaßnahmen beseitigen zwar nicht die Probleme, aber helfen kurzfristig. Vielfältige Vorschläge für Reformen, gerne immer wieder zulasten der Leistungsträger.
Und jetzt sollten wir den Blick auf die Politik richten, die letztendlich entscheiden muss, welche Rezepte für die Genesung des deutschen Gesundheitssystems übernommen werden. Schaut man zurück, dann haben wir über Jahrzehnte erleben müssen, dass man allem voran und immer wieder eine ungezielte Kostendämpfungspolitik betrieben hat, die nur zur Verschleierung der wahren Probleme geführt hat. Bestes Beispiel liefert hier das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) mit seinen fatalen Folgen für die Patientenversorgung in unserem Bereich.
Aber es ist so schön einfach und bequem, immer wieder bei denen Geld zu suchen, die den Leistungsanspruch der Versicherten bedienen und sicherstellen sollen. Und so finden wir uns derzeit schon wieder in der Debatte um ein so genanntes Vorschaltgesetz, im Rahmen dessen alle ihren Beitrag leisten sollen. Umso wichtiger ist es, dass wir in dieser Debatte Antworten liefern und einen klaren Kurs vorgeben müssen.
Und unseren Rezeptvorschlag, um bei der Metapher zu bleiben, unterbreiten wir sehr gerne. Denn er ist das Paradebeispiel, über welchen Weg man das deutsche Gesundheitssystem gesunden kann und das für alle Beteiligten. Unsere konsequent auf Prävention ausgerichteten Versorgungskonzepte haben nicht nur die Mundgesundheit von Millionen Menschen in Deutschland stetig verbessert, sondern auch zur Entlastung der Ausgabenseite geführt.
Kein anderer Leistungsbereich kann diese Erfolge vorweisen, sieht man sich die Ergebnisse der DMS 6 oder die Finanzergebnisse der GKV in unserem Sektor an. Damit ist unser Rezeptvorschlag klar formuliert: Prävention muss zum Leitbild gesundheitspolitischen Handelns gemacht werden. Prävention muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden.
Und Prävention bedeutet, zunächst in Maßnahmen investieren zu müssen, um Erfolge mittel- und langfristig möglich zu machen. Gesundheitsbewusstsein schaffen, die Vorsorgeorientierung und damit auch die Eigenverantwortung stärken, zielgruppenspezifische Versorgungskonzepte auflegen und sich um die Belange vulnerabler Menschen kümmern, all das sind Errungenschaften der Zahnärzteschaft, die das Fundament unseres Erfolges bilden.
Es ist deshalb erfreulich, dass sich die wichtige Rolle der Prävention auch im Koalitionsvertrag wiederfindet. Jetzt ist die Zeit gekommen, nicht nur über Prävention zu reden, sondern den Weg der Prävention im gesamten Gesundheitswesen auch konsequent zu gehen und zur Grundlage von Strukturreformen zu machen.
Das gilt in besonderem Maße für die neue Parodontitisbehandlungsstrecke! Sie muss als Früherkennungs- und Präventionsleistung zwingend gesetzlich verankert werden, um nicht nur die große Volkskrankheit Parodontitis adäquat bekämpfen zu können, sondern auch die Krankheitslast im allgemeinmedizinischen Bereich zu senken und damit letztendlich auch die Finanzierung der GKV zu stabilisieren.
Viele von Ihnen waren in der VV im Juli 2022 in Dresden dabei. Kurz zuvor wurden wir mit dem Entwurf des GKV-FinStG konfrontiert, ohne uns in irgendeiner Weise seitens des damaligen Ministers im Vorfeld einzubinden. Losgelöst von der nun anstehenden Debatte über ein mögliches Vorschaltgesetz bin ich mir aber sicher, dass Frau Warken hier anders agieren wird und den bereits zitierten Dialog im Vorfeld möglicher Gesetzgebungsverfahren mit uns suchen wird. Lassen Sie mich nun etwas zu möglichen Strukturreformen zur Stabilisierung der GKV-Finanzen sagen. Im Koalitionsvertrag wird von der Einrichtung einer Kommission unter Beteiligung von Experten und Sozialpartnern gesprochen, im Rahmen derer die gesundheitspolitischen Vorhaben des Koalitionsvertrages in der Gesamtwirkung betrachtet werden sollen, man bis Frühjahr 2027 Ableitungen treffen und konkrete Maßnahmen vorschlagen möchte.
Es wird unsere Aufgabe sein, unsere Vorschläge hier aktiv einzubringen und mit Fakten zu unterlegen. Dafür sind wir sehr gut aufgestellt! Extrem wichtig dabei ist aber, dass wir als Berufsstand nicht von unserem Weg abweichen, mit einer Stimme sprechen und die in unserer Agenda Mundgesundheit formulierten Punkte im Fokus behalten. Ich sage das ganz bewusst an dieser Stelle, weil Politik bei der Suche nach Geld im System der GKV auch immer wieder mal bei der Zahnmedizin landet.
Dazu werden dann die unterschiedlichsten Thesen aufgestellt. Und so unreflektiert diese Thesen geäußert werden, so banal ist der Gedanke, der dahintersteckt: Wir nutzen den Ausgabenanteil für vertragszahnärztliche Versorgung und stopfen damit Löcher anderer Leistungsbereiche! Dann können die Zahnärzte alles privat abrechnen und die GKV-Versicherten können sich doch privat zusatzversichern.
Wie einfach ist doch Gesundheitspolitik, wenn man gute Ideen hat!
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
dass die Realität dann ganz anders aussehen würde, muss allen klar sein:
- GKV-Versicherte würden eben nicht entlastet.
- Die Leistungsinanspruchnahme würde massiv einbrechen.
- Unser Verhandlungsmandat im Kollektivvertrag würde verloren gehen.
- Unsere Versorgungskonzepte würden ins Leere laufen (kein freier Markt!).
- Die Strukturen der Selbstverwaltung wären obsolet, Sicherstellungsauftrag ade u.v.m.
Aber was vor allem mit Äußerungen „Zweimal Zähneputzen reicht doch aus“ verbunden wäre, ist doch die „Bagatellisierung der Zahnmedizin“! Wir sagen aus gutem Grund immer wieder: „Ohne Mundgesundheit keine Allgemeingesundheit“! Immer deutlicher und wissenschaftlich belegt sind die Zusammenhänge von Parodontitis und schweren Allgemeinerkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen und immer wichtiger wird die intersektorale Zusammenarbeit, sei es mit den Diabetologen, den Kardiologen, den Anästhesisten, den Schlafmedizinern oder anderen Facharztbereichen.
Und wenn es um die von uns zu Recht eingeforderte Planungssicherheit für unsere Praxen geht, dann würde jede Leistungsausgliederung im Bereich der vertragszahnärztlichen Versorgung das Gegenteil erzeugen, zu weiteren Konzentrationsprozessen in der Versorgungslandschaft führen und der weiteren Verbesserung der Mundgesundheit zuwiderlaufen!
Sinnvolle Strukturreformen müssen anders aussehen:
- Stärkung der freiberuflichen und inhabergeführten Praxisstrukturen durch: Bürokratieentlastung, versorgungstaugliche Digitalisierung einhergehend mit dem Ende der Sanktionspolitik und Gewährleistung von Planungssicherheit für die Praxen.
- Unterstützung bei der Sicherstellung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung, in dem es eine klare Trennung gibt von Aufgaben, die die Politik leisten muss und denen, die wir im Rahmen unseres Sicherstellungsauftrages leisten können.
- Regulierung der Gründungsmöglichkeiten von iMVZ.
- Vollumfängliche Finanzierung der Parodontitisbehandlungsstrecke.
Sie können sich sicher sein, dass wir unterfüttert mit einer breiten Datenbasis genau diese Forderungen und Vorschläge in die anstehende Reformdebatte mit Vehemenz einbringen werden. Die Herausforderungen für unseren Berufsstand sind vielfältig und müssen von uns selbst aktiv angegangen werden.
Nach Politik zu rufen, Forderungen an sie zu formulieren, sachlich begründete Anträge zu verabschieden ist relativ einfach, löst zum einen die Probleme nicht und führt zum anderen oft zu Reflexen der Politik. Bestes Beispiel ist das Thema der Sicherstellung!
Ich will jetzt nicht allzu sehr auf die Geschehnisse des letzten Jahres eingehen. Aber die öffentlich geführte Debatte über bestehende oder drohende Versorgungsengpässe hat letztendlich dazu geführt, dass sich jetzt im Koalitionsvertrag Absichten wiederfinden, die den Ländern die Möglichkeit einräumen sollen, in die zahnärztliche Bedarfsplanung einzugreifen oder sogar quasi die Sicherstellung zu übernehmen.
Auch hier wird es unsere Aufgabe der nächsten Wochen und Monate sein, gute Argumente gegen den Eingriff der Politik, der Länder und damit des Staates in die Sicherstellung der Versorgung vorzutragen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir gemeinsam mit den KZVen unseren Aktionsplan „Sicherstellung“ in die politische Debatte einbringen können. Losgelöst davon liegt mir aber eines sehr am Herzen und ich erinnere auch an die Worte der Gesundheitsministerin aus Thüringen, Frau Schenk, im Rahmen ihres Grußwortes bei unserem Frühjahrsfest!
Wir dürfen die Niederlassung, die eigene Praxis und deren Rahmenbedingungen nicht selbst schlecht reden, wenn wir junge Zahnärztinnen und Zahnärzte für die Niederlassung begeistern wollen. Die Botschaft muss vielmehr sein: „Die eigene Praxis lohnt sich heute immer noch, sie schafft sogar mehr Flexibilität in Sachen Vereinbarkeit von Familie und Beruf als die Anstellung, sie lohnt sich auch hinsichtlich der finanziellen Rahmenbedingungen und sie bietet vor allem die Möglichkeit, das eigene Behandlungskonzept zu realisieren, mit einer hohen Bindung der Patienten an die Praxis und auch mit der Dankbarkeit der Patienten, wohnortnah seine Zahnärztin bzw. seinen Zahnarzt vorzufinden.
Eine wichtige Botschaft an die Politik muss also in Sachen „Sicherstellung“ sein: Eingriffe der Politik in den Sicherstellungsauftrag der KZVen lösen das Problem von Versorgungsengpässen nicht. Erst recht sind Instrumente vom Reißbrett wie Zulassungsbeschränkungen kein Lösungsweg. Wir benötigen vielmehr regionalspezifische Lösungsansätze, wie sie derzeit in einigen neuen Bundesländern auch schon angedacht sind, sei es die Landzahnarztquote, sei es die Förderung durch Stipendien oder den Ausbau der Studienkapazitäten. Die Politik ist wiederum gefordert, infrastrukturell in ländlichen und strukturschwachen Bereich zu unterstützen.
Lassen Sie mich abschließend, bevor ich einige wichtige Punkte noch per Präsentation anspreche, auf die Rolle der Selbstverwaltung eingehen. Wenn ich zu Beginn meines Berichtes gesagt habe, dass man, um in die Zukunft schauen zu können, aus der Vergangenheit lernen muss, dann wäre das auch mein Appell an die neue Bundesregierung und insbesondere an unsere neue Bundesgesundheitsministerin.
Wir haben eine Legislatur hinter uns bringen müssen, in der ein Minister die Selbstverwaltungspartner als Lobbyisten abqualifiziert hat, mit denen man nicht sprechen muss, erst recht nicht deren Argumente man folgen darf, weil es in die Ideologie einer staatszentrierten Gesundheitsversorgung nicht gepasst hat. Umso hoffnungsfroher bin ich, dass mit der neuen Besetzung wir als Selbstverwaltung wieder entsprechend unserer Bedeutung wahrgenommen und eingebunden werden.
Die Politik ist gut beraten, jetzt die Chance für einen echten Kurswechsel in der Gesundheitspolitik zu nutzen, den Erfolgsweg der Prävention mit uns weiterzugehen und damit auch die Versorgungsstrukturen zukunftsfest zu machen!
Damit ist aus meiner Sicht unser Kurs klar: Wir werden uns auch weiterhin für die Verbesserung der Mundgesundheit einsetzen. Dabei muss vor allem die Bekämpfung der großen Volkskrankheit Parodontitis im Mittelpunkt stehen, für die aber auch die Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen. Ungeachtet möglicher Reformvorhaben muss es unser Anspruch bleiben, zielgruppenspezifische Versorgungskonzepte aufzulegen, um nicht nur unserer Allgemeinwohlverpflichtung nachkommen zu können, sondern auch die wirtschaftliche Basis unserer Zahnarztpraxen sichern zu können.
Einer „Bagatellisierung“ der Zahnmedizin werden wir entschieden entgegenwirken. Und zur Sicherstellung einer flächendeckenden und wohnortnahen Versorgung muss es neben den im Aktionsplan abgebildeten Maßnahmen und Bemühungen der KZVen und der KZBV auch in klarer Abgrenzung zu unserem Sicherstellungsauftrag Aufgabe der Politik sein, Infrastruktur auszubauen und anziehende Rahmenbedingungen für die Niederlassung zu schaffen.