Flächendeckende und wohnortnahe Versorgungsstrukturen fördern
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Verlässliche Rahmenbedingungen schaffen und Selbstverwaltung zielgenau unterstützen
Beschluss
Eine wohnortnahe zahnärztliche Versorgung ist in Deutschland derzeit gewährleistet. Unter gleichbleibenden Rahmenbedingungen drohen jedoch bereits in wenigen Jahren größere, regionale Versorgungsengpässe, besonders in strukturschwachen und ländlichen Regionen. Um eine bedarfsgerechte Versorgung auch in Zukunft sichern zu können, bittet die Vertreterversammlung der KZBV die neue Bundesregierung, verlässliche, den Praxisalltag erleichternde Rahmenbedingungen für zahnärztliche Praxen zu schaffen sowie die Attraktivität der Niederlassung zu fördern. Solche Rahmenbedingungen erfordern insbesondere einen pragmatischen Abbau der überbordenden Bürokratielasten, eine
praxistaugliche Digitalisierung und eine verlässliche, vollumfängliche Vergütung erbrachter Leistungen. Jegliche Überlegungen, auf politischer bzw. staatlicher Ebene in die Bedarfsplanung der vertragszahnärztlichen Versorgung und damit in den in § 75 SGB V normierten Sicherstellungsauftrag von KZVen und KZBV einzugreifen, sind nicht zielführend und werden von der Vertreterversammlung in aller Deutlichkeit abgelehnt.
Die Vertreterversammlung der KZBV erwartet von der neuen Bundesregierung die Förderung von Versorgungsstrukturen, insbesondere in unterversorgten oder drohend
unterversorgten Gebieten durch folgende Maßnahmen:
- Staatliche Investitionskostenzuschüsse für Zahnarzt- und Zweigpraxen in ländlichen und strukturschwachen Gebieten, die unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sind.
- Steuerrechtliche Vergünstigungen für Zahnärztinnen und Zahnärzte, die sich in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebieten niederlassen oder ihren Ruhestand in solchen Gebieten hinausschieben.
- Erleichterter Zugang zum Zahnmedizinstudium durch eine Quote für Studierende, die sich vorab verpflichten, für einen festzulegenden Zeitraum nach ihrer Approbation in einem Planungsbereich mit festgestelltem Versorgungsbedarf im Bundesland des Studienortes tätig zu werden.
- Staatlich finanzierte Stipendienprogramme für Studierende der Zahnmedizin im europäischen Ausland sowie an anerkannten nichtstaatlichen Hochschulen im Inland, in deren Rahmen sich die Stipendiaten dazu verpflichten, für einen festzulegenden Zeitraum nach ihrem Studium (vertrags)zahnärztlich in einem Planungsbereich mit Versorgungsbedarf tätig zu sein.
- Weiterentwicklung der Sicherstellungsinstrumente insbesondere für eine bessere Kooperation zwischen KZVen und Kommunen.
- Förderung der aufsuchenden Betreuung von vulnerablen Gruppen (z.B. durch Kooperationsverträge mit Pflegeheimen), um auch die Patientinnen und Patienten an
abgelegenen Orten oder mit einer eingeschränkten Mobilität zu erreichen.
Begründung
Das Fundament der Erfolge, die in den vergangenen Jahrzehnten bei der Mundgesundheit erzielt werden konnten, bilden die wohnortnahen, flächendeckenden Versorgungsstrukturen in unserem Land. Als fester Bestandteil der Daseinsvorsorge müssen die Menschen weiterhin und unabhängig von ihrem Wohnort darauf vertrauen können, dass sie Zugang zu einer qualitativ hochwertigen, präventionsorientierten zahnmedizinischen Versorgung haben.
Wie das deutsche Gesundheitswesen insgesamt steht auch die vertragszahnärztliche Versorgung vor einer demografischen Herausforderung. In den kommenden Jahren werden viele Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Beschäftigte in den zahnärztlichen Praxen altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden.
Die wohnortnahe zahnärztliche Versorgung ist in Deutschland derzeit gewährleistet: Kein Planungsbereich im allgemeinzahnärztlichen Bereich ist unterversorgt, lediglich in 3,7 Prozent der Planungsbereiche kann eine drohende Unterversorgung festgestellt werden. Prognosedaten zeigen jedoch, dass in der Zahnärzteschaft – wie im Gesundheitswesen insgesamt – die Ressource Personal in den kommenden Jahren zunehmend knapp sein wird. Es ist davon auszugehen, dass unter gleichbleibenden Rahmenbedingungen bereits in den kommenden Jahren insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Regionen vermehrt Planungsbereiche von der Unterversorgung bedroht oder schon unterversorgt sein werden.
Die KZVen und die KZBV haben entsprechend ihres gesetzlichen Auftrags den Anspruch und sind grundsätzlich dazu in der Lage, auch künftig eine flächendeckende, wohnortnahe
und qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen. Nicht zum Sicherstellungsauftrag von KZBV und KZVen gehört es jedoch, die heute schon real vorhandenen und wachsenden regionalen Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen, strukturschwächeren Regionen aus der Gesamtvergütung und damit unter Einsatz des Honorars der freiberuflich tätigen Vertragszahnärzteschaft aufzufangen. Es ist staatliche Aufgabe und liegt damit in der Verantwortung der politischen Entscheidungsträger in Bund, Ländern und Kommunen, gleichwertige Lebensverhältnisse durch Infrastrukturmaßnahmen zu sichern und zu fördern (ÖPNV, Kinderbetreuungsplätze, Schulen, Breitbandinfrastruktur etc.). Ob eine Region diese anziehenden Rahmenbedingungen bietet, ist für die Frage der Standortwahl bei der Berufsausübung und insbesondere der Praxisgründung letztlich ein entscheidender Faktor.
CDU, CSU und SPD haben im Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode vereinbart, den Ländern zu ermöglichen, „die Bedarfsplanung für Zahnärztinnen und Zahnärzte selbst vorzunehmen“. Jegliche Überlegungen, die darauf abzielen, von politischer bzw. staatlicher Seite in die Bedarfsplanung einzugreifen, sind zugleich Eingriffe in den
Sicherstellungsauftrag von KZBV und KZVen und werden von der Vertreterversammlung in aller Deutlichkeit abgelehnt.
Auch die Wiedereinführung von Zulassungsbeschränkungen – wie von der Gesundheitsministerin des Landes Sachsen-Anhalt Anfang 2024 in die öffentliche Diskussion getragen – stellt keine Lösung für die absehbaren Herausforderungen in der Versorgung dar. Eine Versorgungspolitik vom Reißbrett kann nicht gelingen. Sie ist fernab von den Lebensrealitäten der Zahnärztinnen und Zahnärzte und ihrer Familien. Wissenschaftliche Untersuchungen des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) zeigen, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte genaue Vorstellungen für ihre Lebensentwürfe – und in diesem Zusammenhang auch für ihre Berufsausübung – haben und daher nicht wie Schachfiguren von einer Region in die nächste verschoben werden können. Stattdessen können wir feststellen, dass sich die niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte als Ergebnis von Wettbewerb auch ohne Bedarfszulassung bevölkerungsproportional verteilen. Des Weiteren besteht kein bloßer „Verteilungsmangel“, wonach es prinzipiell genügend niedergelassene Zahnärztinnen und Zahnärzte gebe, die nur unzureichend verteilt seien. Vielmehr resultieren perspektivische lokale Versorgungsengpässe zum einen vornehmlich daraus, dass ältere Niedergelassene der geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten Jahren aus der Versorgung ausscheiden werden, zum anderen daraus, dass – bei insgesamt stabilen Absolventenzahlen – die Anzahl der Versorgungsaufträge rückläufig ist und insbesondere jüngere Zahnärztinnen und Zahnärzte zunächst verstärkt in eine Anstellung streben. Daher ist das einschneidende Instrument der Zulassungsbeschränkung – zumal dieses einzig im Fall einer bestehenden Ärzteschwemme als sinnvoll erachtet werden könnte – folglich völlig ungeeignet, lokale Versorgungsengpässe zu beseitigen.
Bereits heute werden in den KZVen – auch präventiv – Maßnahmen zur Sicherung der Versorgung ergriffen, insbesondere über die gesetzlichen Sicherstellungsinstrumente nach § 105 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Um lokalen Lücken im aktuell flächendeckenden Netz der Versorgung zu begegnen, braucht es neben dem hohen Engagement der Selbstverwaltung einen politischen Gestaltungswillen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die vertragszahnärztliche Versorgung müssen in der neuen Legislaturperiode zielgenau weiterentwickelt werden, um die Sicherstellung der Versorgung durch die KZBV und die KZVen zu unterstützen.