Rede Dr. Wolfgang Eßer
Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vorbereitet haben wir uns auf eine ganz normale Arbeits-VV. Das ist Schnee von gestern. Wir sind hier und heute mit einer massiven Bedrohung für die zahnärztliche Versorgung konfrontiert. Es geht um ein Thema, das genauso in unsere VV geplatzt ist, wie der Koalitionsvertrag der Ampel im November letzten Jahres. Ich spreche heute von der desolaten Finanzlage der Kassen, ich spreche von dem am Montag bekannt gewordenen Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für das Finanzstabilisierungsgesetz.
Habe ich in dem sich entwickelnden Szenario der vergangenen Monate immer wieder davor gewarnt, dass wir noch in ganz raues Fahrwasser geraten könnten, dann befinden wir uns heute mittendrin. Reserven abbauen, Beiträge erhöhen und Kosten dämpfen. So lassen sich die Pläne von Herrn Lauterbach in wenigen Schlagworten auf den Punkt bringen. Damit soll das Finanzdefizit der Kassen von Stand heute mindestens 17 Mrd. Euro in 2023 gestopft werden. Plötzlich ist keine Rede mehr von den ursprünglich geplanten Mehrwertsteuerabsenkungen auf Arzneimittel. Kein Wort im Entwurf auch zur im Koalitionsvertrag festgehaltenen Steuerfinanzierung der Beiträge für ALG II-Empfänger.
Der jetzt vereinbarte ergänzende Bundeszuschuss in Höhe von 2 Mrd. Euro: Kaum mehr als ein Strohfeuer. Das 1-Milliarde-Darlehen an die GKV: Nicht mehr als ein schlechter Witz. So lässt sich das desolate Verhandlungsergebnis zusammenfassen, das Gesundheitsminister Lauterbach aus den monatelangen Gesprächen mit dem Bundesfinanzminister mitbringt. Stattdessen wurden andere Goldesel gesucht und ein wesentlicher Teil des Kassendefizits soll jetzt zu Lasten der Versorgung gehoben werden. Das, und nichts Anderes ist gemeint, wenn der Minister von „Effizienzreserven im Gesundheitssystem“ spricht.
Dieser Euphemismus allein ist schon eine unverschämte Frechheit: Dieses Gesetz ist nämlich nichts Anderes als platte Kostendämpfung, nichts Anderes als ein Rückfall in die Steinzeit der Kostendämpfungspolitik. Und die Zahnärzteschaft soll jetzt für den Minister als Melkkuh herhalten. Die maßgeblichen Regelungen dazu finden sich in den Paragraphen 85 Absatz 2d und 3a des Entwurfs. Paragraph 85 Absatz 3a sieht vor, das Wachstum des Ausgabenvolumens für die Gesamtheit zahnärztlicher Leistungen ohne Zahnersatz auf höchstens die um 0,75 Prozentpunkte verminderte Grundlohnrate im Jahr 2023 sowie auf höchstens die um 1,5 Prozentpunkte verminderte Grundlohnrate in 2024 zu begrenzen. Ausnahmen sind für IP und Früherkennungsuntersuchungen vorgesehen. In Paragraph 85 Absatz 2d findet sich im Grunde eine äquivalente Formulierung bezogenen auf die Punktwerte in 2023 und 2024.
In anderen Worten heißt das, um es mal auf die zwei zentralen Aussagen herunterzubrechen: Hier geht es um Honorarkürzungen und strikte Budgetierung. Was Herr Lauterbach unter „Wertschätzung“ für die Praxen und ihre Teams versteht, haben wir ja zuletzt schon beim Pflegebonus gesehen. Aber das, was jetzt hier geplant wird und im Entwurf so technisch umschrieben ist, toppt alles. Dieser extreme Rückfall in die Zeit plumper Kostendämpfungspolitik sprengt alle Worst-Case-Szenarien.
Dabei ist der Entwurf des Ministers, verehrte Kolleginnen und Kollegen, geprägt von konzeptioneller Einfallslosigkeit und handwerklicher Flickschusterei. Es fehlt eine Idee, die sich nicht schon vor Jahrzehnten als untauglich erwiesen hat und zu den gesundheitspolitischen Akten gelegt wurde. Im Vorfeld des Entwurfs gab es keinerlei Informationen an uns, geschweige denn irgendeine Art von Gespräch, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Das ist kein Zufall. Das ist der neue Regierungsstil im BMG. So arbeitet der Minister.
Bei der Pressekonferenz noch verkünden, dass es angesichts der Inflation keinen Spielraum für Einsparungen bei Honoraren und Einkünften der Ärzteschaft gebe und keine Woche später liegt ein Entwurf vor, der für die Zahnärzteschaft praktisch einer drastischen Vergütungskürzung und einem Rückfall in die Zeit der längst überwunden geglaubten Budgetierungspolitik gleichkommt.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Angesichts der Tatsache, wie Wort und Tat beim Minister auseinanderklaffen, angesichts dieser selbstbewusst, in aller Öffentlichkeit vorgetragenen Dreistigkeit, bin ich immer noch fassungslos. Das meine Damen und Herren ist ein krasser Wortbruch! Öffentlichkeit und Heilberufe wurden von dem Minister hinters Licht geführt! Das ist unwürdig und zerstört jede Vertrauensbasis. Dieses Verhalten kann man da draußen doch keinem mehr erklären.
Auf breiter Front sind die Zahnarztpraxen mit steigenden Material- und Energiekosten und einer Inflation von aktuell rund 8 Prozent konfrontiert. Auf höchster Ebene wird politisch darüber diskutiert, wie man die Belastungen für die Bevölkerung abfedern kann. Und parallel dazu sollen die Leistungserbringer im Gesundheitswesen mit Kostendämpfung überzogen werden? Ganz zu schweigen von den völlig überzogenen Maßstäben, die im Gesetzentwurf an unseren Versorgungsbereich angelegt werden:
Aus einem verhältnismäßig kleinen Versorgungsbereich, der über Jahre eine präventionsorientierte Versorgung abliefert, vulnerable Gruppen in den Blick nimmt, wirtschaftlich effizient arbeitet und bedingt durch Pandemie und Lockdown bereits erhebliche Lasten zu tragen hat. Aus diesem Versorgungsbereich sollen jetzt die großen Einsparungen herausgequetscht werden.
Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist für die Zahnärzte und ihre Teams ein Schlag ins Gesicht und kann den Praxen unmöglich zugemutet werden. In den letzten zwei Jahren haben die Praxen in der Pandemie auch unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen die Versorgung aufrechterhalten und durch pandemiebedingte Einbrüche im Leistungsgeschehen de facto sogar die GKV-Finanzen entlastet.
Es kann angesichts der Zahlen, ganz objektiv gesprochen, nur eine Wirklichkeit geben: Von der zahnärztlichen Versorgung gehen keine Kostenrisiken für die GKV aus. Ein kurzer Blick in die Statistik würde reichen, um das zu merken. Ganz im Gegenteil: Der Anteil der zahnärztlichen Ausgaben an den GKV-Gesamtausgaben ist über die Jahre kontinuierlich gesunken – von knapp 9 Prozent im Jahr 2000 auf mittlerweile nur noch 6,25 Prozent.
Andere Versorgungsbereiche hatten in den letzten Jahren deutliche Ausgabenzuwächse. Da haben sich die Anteile an den GKV-Ausgaben schon ganz erheblich zu unseren Lasten verschoben. Mit den jetzt im Entwurf vorgesehenen Regelungen würde das Gegenteil von dem passieren, was eigentlich im Sinne der Niederlassungsförderung notwendig und was im Sinne des verlässlich sinkenden Kostenanteils in der zahnärztlichen Versorgung auch der sachlogisch nächste Schritt gewesen wäre.
Anstatt mehr Flexibilität bei der Gesamtvergütung zu ermöglichen und die Aufhebung der Obergrenzen dauerhaft fortzuschreiben, wie wir das schon länger fordern, will der Minister jetzt gerade bei uns – und sonst in keinem anderen Leistungsbereich – knallhart budgetieren. Das ist nicht angemessen, das ist nicht verhältnismäßig! Angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung nicht müde wird, sich als „Fortschrittskoalition“ zu präsentieren, kann ich nur wiederholen: Das was hier gemacht werden soll, verhindert ja gerade eine präventionsorientierte, am wissenschaftlichen Fortschritt ausgerichtete Versorgung. Das ist ideenlos und rückwärtsgewandt. Das ist Gesundheitspolitik aus der Mottenkiste.
Schon 2012 haben wir mit dem Versorgungsstrukturgesetz den Weg der strikten Budgetierung verlassen. Damit haben wir seit über 10 Jahren bewiesen, dass KZBV und KZVen gemeinsam mit den Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzten Verantwortung für die Ausgabenentwicklung übernehmen können. Herr Minister, schauen Sie sich die Kostenentwicklung in der zahnärztlichen Versorgung an! Ohne den Kostenanteil in der GKV zu erhöhen, haben wir Spielräume entwickelt, um der Morbiditätsentwicklung in der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Wir haben entscheidend dazu beigetragen, die zahnmedizinische Versorgung präventionsorientiert fortzuentwickeln.
Bei der Parodontitistherapie ist es uns durch jahrelanges, zähes Arbeiten gelungen, den Leistungskatalog an den Stand der Wissenschaft und die Bedürfnisse der Versicherten anzupassen. Eine Neuausrichtung, bei der wir ganz besonders ältere und pflegebedürftige Menschen in den Blick genommen haben. Soll das jetzt alles ohne Bedeutung sein? Soll dem ernsthaft ein Riegel vorgeschoben werden? Wo bleibt eigentlich die Verantwortung des Ministers für die Mundgesundheit der Patientinnen und Patienten?
Es gibt nur eine Konsequenz: Diese Regelungen gehören in die politische Mottenkiste! Ich kann nur hoffen, und das richtet sich jetzt an alle politischen Entscheidungsträger der Ampelkoalition, die dieses Vorhaben des Ministers letztlich mitverantworten, ich hoffe, dass sich hier keiner von Ihnen irgendeiner Illusion hingibt: Wenn das Gesetz in dieser Art kommt, würde das die präventionsorientierte Ausrichtung der Versorgung, gerade mit Blick auf die neue Versorgungsschiene bei PAR, radikal ausbremsen. Wir befinden uns immer noch ganz am Anfang der Einführungsphase, die über mehrere Jahre bis 2024 gestreckt ist. Hier grätscht der Entwurf brutal rein und kappt uns die dafür notwendigen, mit dem GKV-SV und dem Ministerium konsentierten Mittel von gut 1 Mrd. Euro.
Ich erinnere daran, dass die Krankenkassen im G-BA im Wissen um die erforderlichen zusätzlichen Finanzmittel zusammen mit uns den Beschluss getroffen haben. Und ich erinnere daran, dass das BMG im Wissen um diese zusätzlichen Mittel der Leistungsverbesserung für die Patienten zugestimmt hat. Würde man diese Mittel jetzt wieder kürzen, würde unser Versorgungsbereich überproportional belastet und in der Folge würden den Patienten die Leistungen einer gesetzlich zugesagten innovativen präventionsorientierten Versorgung im Ergebnis vorenthalten. Das wäre ein unverantwortlicher folgenschwerer Angriff auf die Mundgesundheit der Bevölkerung.
Die massive Abwertung der PAR im Zuge der BEMA-Umrelationierung zum 1.1.2004 war ein Desaster für die Patientenversorgung. Das darf sich nicht wiederholen! Jeder zweite Erwachsene in Deutschland leidet an einer behandlungsbedürftigen Parodontitis. Die Prävalenz parodontaler Erkrankungen ist exorbitant hoch. Parodontitis ist der Hauptgrund für den Verlust von Zähnen bei Erwachsenen. Parodontitis steht im Zusammenhang mit Herz-Kreislauferkrankungen, mit Diabetes, stellt ein Risiko für Schwangere dar. Zurecht sprechen wir deshalb von der großen Volkskrankheit Parodontitis. Und ich erinnere jetzt noch einmal daran, dass der Beschluss im G-BA die zur Bekämpfung der Parodontitislast unabdingbar notwendigen Leistungen in den GKV Leistungskatalog eingeführt und den Versicherten zugänglich gemacht hat. Die dafür notwendigen Finanzmittel waren konsentiert und vom Ministerium akzeptiert. Die faktische Verhinderung dieser Therapie, wäre eine Katastrophe für die Versorgung.
Ich sage es nochmal klipp und klar, schon damit keiner auf die Idee kommt, uns das später vorzuhalten: Das, was uns hier präsentiert wird, das ist das Ende für alle neuen Leistungen in der GKV. Ich spreche hier von UKPS, von Digitalisierung – vor allem aber spreche ich von der präventionsorientierten PAR-Versorgung. Auch was die Auswirkungen dieses Gesetzes auf die Versorgungsstrukturen angeht, liegen die Folgen auf der Hand: Angesichts dieses katastrophalen Gesetzentwurfs wird sich wohl kaum noch jemand von den jungen Kolleginnen und Kollegen für eine eigene Niederlassung entscheiden.
Ihnen wird damit doch die finanzielle Planungssicherheit vollständig unter den Füßen weggezogen. Und das würde im gleichen Maße für die älteren Kolleginnen und Kollegen gelten, die seit Jahren zugunsten der Versorgungssicherung ihre Praxen weiter betreiben und ihren Ruhestand aufschieben. Die werden ihre Zulassung zurückgeben und ihre verdienstvolle Arbeit an den Nagel hängen. Herr Minister, mit diesem Gesetzentwurf bahnen Sie der Unterversorgung im zahnärztlichen Bereich den Weg.
Machen Sie doch niemandem etwas vor:Mit der strikten Budgetierung kürzen Sie de facto Leistungen durch die Hintertür und nehmen die Versorgungsstrukturen in die Zange. Das wird zu Lasten der Patientinnen und Patienten, das wird zu Lasten des Leistungskataloges gehen, zu Lasten der Mundgesundheit! Herr Minister, das wäre genau das, was Sie immer wieder, in allen Reden und Pressekonferenzen, so vehement ausgeschlossen haben. Wir fordern Sie auf: Hören Sie auf, die Menschen hinters Licht zu führen! Halten Sie Ihr Wort! Machen Sie keine Politik zu Lasten von Versorgung und Sicherstellung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dieser Entwurf darf nicht der Rahmen für die Patientenversorgung der nächsten Jahre werden. Das führt in eine Sackgasse. Wir müssen einen Weg finden, unsere erfolgreiche patientenorientierte Politik der letzten Jahre fortzusetzen. Die Patienten haben Anspruch auf eine präventionsorientierte, am Stand der Wissenschaft ausgerichtete Versorgung. Und wir haben ein Recht auf verlässliche Rahmenbedingungen und eine angemessene Vergütung unserer Leistungen.
Deswegen darf dieses Gesetz niemals Wirklichkeit werden! Es muss verhindert werden! Dafür werden wir als KZBV alles tun. Ich verspreche Ihnen, dass meine Kollegen und ich gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der KZBV alles in unserer Kraft stehende tun werden, um diese fatalen Regelungen zu verhindern. Von Ihnen allen verlange und erwarte ich in diesen schweren Zeiten vollen Einsatz und bestmögliche Unterstützung bei diesem Ziel.
Auf allen Kanälen müssen wir gemeinsam Öffentlichkeit und Politik über die bereits heute absehbaren Folgen dieses Gesetzesvorhabens informieren, um den Minister an der Realisierung zu hindern. Sollte dieses Gesetz dennoch umgesetzt werden, wird es auf harten Widerstand stoßen. Die Antwort wird das Ende unserer kooperativen Politik sein und der Grundsatz: ‚Für begrenztes Geld gibt es auch nur begrenzte Leistungen‘, wird die Versorgung prägen.
Wer Gesundheitspolitik aus der Mottenkiste sät, wird auch Reaktionen aus der Mottenkiste ernten. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort!
Bild: © KZBV/Knoff