Rede Dr. Wolfgang Eßer
Es gilt das gesprochene Wort.
Herr Kollege Schrader,
Herr Kollege Koch,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
es sind zweifelsfrei politisch und gesellschaftlich bewegte Zeiten. Auch wenn nach der Bundestagswahl noch nicht alle Würfel gefallen sind, so ist doch bereits heute absehbar, dass uns als Gesellschaft und als Berufsstand große Herausforderungen bevorstehen.
Beschäftigen wir uns mit Fragen, die uns mittelbar nach der Regierungsbildung betreffen könnten:
Mit dem ersten Dreier-Gespräch zwischen SPD, Grünen und FDP sind heute die Sondierungen für eine Ampel-Koalition offiziell eingeläutet. Zunehmend viele Indikatoren lassen dieses Bündnis wahrscheinlich erscheinen. Insofern rückt die Bedrohung durch einen Systemumbau hin zu einer Einheitsversicherung unter einem Kassenoligopol auf die Agenda. SPD und Grüne haben diesen Schritt ihres gewollten gesellschaftlichen Umbaus zu oft betont, als dass ich den abwiegelnden Äußerungen z.B. jüngst von Herrn Lauterbach auch nur einen Zentimeter über den Weg traue. Es bleibt ein nicht von rationalen, z.B. von versicherungsmathematischen Berechnungen, abgeleitetes Szenario, sondern eines, das auf ideologischen Prinzipien dieser beiden Parteien basiert. Deshalb müssen wir auch davon ausgehen, dass Argumente in einer zukünftigen politischen Debatte kaum eine Rolle spielen werden.
Ebenso dürfen wir die Bestrebungen von Rot-Grün nicht vergessen, unsere freiberuflichen Versorgungswerke inklusive der von uns gebildeten Altersrückstellungen zu annektieren und in die gesetzliche Rentenversicherung zu integrieren. Wir dürfen gespannt bleiben, welche Rolle die FDP hier übernehmen wird und ob sie ihre im Wahlkampf verkündeten Grundsätze verteidigt und durchsetzt und wo sie Kompromisse machen wird.
Ebenso steht zu erwarten, dass uns sehr zeitnah eine Debatte über die Finanzierung des GKV-Systems ins Haus stehen wird. Nach Schätzungen der Kassen besteht trotz des bereits erweiterten zusätzlichen Bundeszuschusses ein Finanzierungsloch von weiteren rund 7 Mrd. Euro. Die Entscheidung über den Umgang mit diesem Defizit wurde von der alten Bundesregierung auf die Zeit nach der Wahl vertagt. Es wird also sehr bald zu einer Regelung kommen müssen. Kostendämpfungsmaßnahmen in dieser neuen Legislaturperiode des Bundestages sind eher als wahrscheinlich einzustufen als auszuschließen.
Wenn wir bislang schon wenig Unterstützung der bisherigen Bundesregierung in unserem Kampf gegen die grassierende Vergewerblichung der zahnärztlichen Versorgung und für die Stärkung der Transparenz bei investorengetragenen MVZ erfahren haben, stellt sich nunmehr umso drängender die Frage, woher die Unterstützung für unser Anliegen, renditeorientierten Kapitalinvestoren den Zugang zur zahnärztlichen Versorgung zu versagen, unter einer Ampel-Koalition kommen soll.
Meine drängende Frage: Wie denn die Gesundheitsversorgung, die zahnärztliche Versorgung, in fünf, zehn Jahren erfolgen soll, ist nach wie vor unbeantwortet. Dabei drängt die Zeit. Denn der Zuwachs der iMVZ ist weiterhin dynamisch. Derzeit stellen sie bereits einen Anteil von rund 23 Prozent an allen MVZ dar. Von den in der ersten Jahreshälfte 2021 neu hinzugekommenen MVZ macht ihr Anteil mehr als 40 Prozent aus. Außerdem zeigen die von uns betriebenen Recherchen und die den KZVen vorliegenden Neuanträge, dass die bekannten Finanzinvestoren weiter in den deutschen Dentalmarkt investieren wollen und auch weitere Finanzinvestoren ernsthafte Pläne haben, ebenfalls zu investieren. So zeichnen sich aktuell zwei mögliche neue Finanzinvestoren im zahnärztlichen Bereich ab. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf eine größere Übernahme, die erhebliche Umwälzungen auf dem iMVZ-Markt mit sich bringen würde: Die Jacobs Holding plant, sämtliche Anteile an der niederländischen Firma Prophylaxis Holdco vom Investor EQT zu übernehmen. Wenn diese Transaktion zustande käme, würde die Jacobs Holding nach aktuellem Stand über 65 zahnärztliche MVZ verfügen und zum Markführer im Bereich der Investoren-MVZ aufsteigen. Hinzu kommt, dass die Jacobs Holding damit künftig über zwei gründungsberechtigte Krankenhäuser verfügen würde.
Meine Damen und Herren, die Gefahr einer weiteren, ungebremsten Expansion von iMVZ sowie die Entstehung extrem großer Versorgungsstrukturen ist somit sehr real. Wir können und dürfen daher bei diesem Thema nicht lockerlassen. Die Konzepte und Vorschläge der KZBV zur Eindämmung der Vergewerblichung liegen auf dem Tisch und werden einen Schwerpunkt der politischen Arbeit der KZBV in der neuen Legislaturperiode des Bundestages bilden. Dazu gehört auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns weiterhin mit aller Kraft und allen Mitteln um die Förderung der Niederlassung von freiberuflichen Zahnärztinnen und Zahnärzten kümmern werden.
Eines unserer zentralen und wichtigsten Anliegen bleibt darüber hinaus unser Einsatz für die beiden tragenden Säulen unseres Gesundheitswesens: für die Freiberuflichkeit und die Selbstverwaltung. Auch die Stärkung der Krisenreaktionsfähigkeit der vertragszahnärztlichen Versorgung als Lehre aus der Bewältigung der Corona-Pandemie wird im Zentrum unserer Aktivitäten und Bemühungen stehen.
Diese Themen sind neben anderen Punkten, wie beispielsweise die Digitalisierung und der Bürokratieabbau, auf die ich hier aus Zeitgründen nicht eingehe, zentraler Bestandteil der Agenda Mundgesundheit 2021–2025 der KZBV, die unsere Vertreterversammlung in Vorbereitung auf die neue Legislaturperiode des Bundestages im Sommer beschlossen hat.
Lassen Sie mich dazu eines in aller Deutlichkeit sagen: Wir werden mit unseren Anliegen nicht reüssieren, wenn wir lamentierend ausschließlich nach der Politik rufen. Es wird uns auch keinen Schritt weiterbringen, wenn weiterhin immer nur Forderungen in den Raum gestellt werden, die sich nur für die Wunschgalerie eignen. Um es auf den Punkt zu bringen: Forderungen, müssen in Konzepte gekleidet sein und in Realitäten münden, sonst sind sie wertlos und reine Makulatur.
Ich denke, dass ich mit Fug und Recht sagen darf, dass wir, die KZBV, in den zurückliegenden Jahren nachhaltig unter Beweis gestellt haben, dass wir in der Lage sind, tragfähige Konzepte und Lösungen zu entwickeln und diese auch zum Erfolg zu führen:
Ich greife hier beispielhaft einige erfolgreich umgesetzte Projekte aus dem Versorgungs- und Honorarbereich heraus:
- Die neue PAR-Richtlinie. Hier sind Versorgungsinnovation und betriebswirtschaftlicher Zugewinn für die Praxis idealtypisch vereint. Das Ergebnis ist mit viel Ausdauer und großer Beharrlichkeit akribisch vorbereitet und zum richtigen Zeitpunkt erreicht worden. 2022 hätten wir mit Sicherheit keine Chance auf Umsetzung mehr bekommen.
- Die verzerrungsfreie Fortschreibung der Gesamtvergütungen für 2021 und 2022. Sie sichert eine kontinuierliche Punktwertverbesserung auch in Pandemiezeiten.
- Die gesetzlich fixierte Aufhebung der Vergütungsobergrenzen, also die Budgetfreiheit für 2021 und 2022. Sie schafft Raum für Nachholeffekte und morbiditätsbedingte Mengenzuwächse, beispielsweise im Zuge der neuen PAR-Strecke.
- Der Pandemiezuschlag: Ich hoffe, dass jede und jeder von Ihnen zumindest die erste Teilzahlung inzwischen erhalten hat oder in den nächsten Tagen bekommt.
Dass wir den GKV-SV an seine Mitverantwortung für die Bewältigung der Pandemielasten erinnern und gemeinsam eine Vereinbarung über einen Pandemiezuschlag im Wert von 275 Millionen Euro vereinbaren konnten – und zwar ohne gesetzliche Verpflichtung – hat doch niemand für möglich gehalten und ist – wie ich meine – für die Praxen sicherlich eine echte Hilfe.
All diese Bausteine schaffen ein Mehr an Sicherheit.
- Sicherheit für die Patientinnen und Patienten, an einer zeitgemäßen Versorgung teilhaben zu können,
- Sicherheit für die Praxen, fortschrittliche Zahnheilkunde betreiben und auch in Zukunft an einer positiven betriebswirtschaftlichen Entwicklung teilnehmen zu können,
- Sicherheit, auch zukünftig den Sicherstellungsauftrag erfüllen zu können.
- In der Corona-Pandemie haben wir bewiesen, wie kreativ und leistungsfähig, aber auch wie widerstandsfähig wir sind. Wir haben die Krise gut bewältigt, keine Praxen verloren und gezeigt, dass sich unsere Patientinnen und Patienten und die Gesellschaft gerade auch in Krisenzeiten auf uns verlassen können.
Meine Damen und Herren, welch größere Beweise für die Leistungsfähigkeit unseres Berufsstandes und unserer Selbstverwaltung kann man eigentlich liefern? Vertrauen und Zusammenarbeit waren die Voraussetzungen für diesen Erfolg. Ohne gegenseitiges Vertrauen und Zusammenarbeit werden wir gerade in den kommenden Jahren keine Erfolge haben können.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, schon oft habe ich darum geworben, dass der Berufsstand zusammenrückt und konsensorientierter und weniger ultimativ miteinander umgeht und seine Kräfte bündelt. Leider war das in der Vergangenheit, besonders spürbar im vergangenen Jahr, oftmals nicht der Fall. Bei Vielen haben die Nerven blank gelegen und zu bemerkenswert negativen Reaktionen geführt. Die darf man nicht unter den Tisch kehren, weil man sonst nichts daraus lernt:
- Exponierte Persönlichkeiten in der Standespolitik haben unautorisierte und unabgestimmte Äußerungen und Veranlassungen mit fatalen Folgen getroffen,
- Organisationen haben gegeneinander und gegen die Körperschaften agiert,
- die sozialen Netzwerke waren von radikalen, teilweise hasserfüllten Kampagnen gefüllt und eine furchtbare Verrohung des kollegialen Umgangs hat stattgefunden.
- Sachlichkeit, Zielorientiertheit und Verantwortungsbewusstsein sind vielfach auf der Strecke geblieben.
Das darf in Zukunft so nicht mehr passieren. Wir werden es in den nächsten Jahren schwer genug haben, es werden harte vier Jahre werden. Deshalb werden wir uns umso intensiver auf die Bewältigung der tatsächlichen Probleme konzentrieren müssen. Dass wir das gemeinsam schaffen können, davon bin ich absolut überzeugt.
Jede Organisation, jeder Verband, jede zahnärztliche Gruppierung, ja jede Kollegin und jeder Kollege müssen dazu ihren Beitrag leisten, konstruktiv in der Sache, respektvoll im Umgang und professionell in der Interessenvertretung.
In diesem Sinne wünsche ich mir von Ihnen viel Unterstützung und das notwendige Vertrauen in die Arbeit der KZBV und freue mich auf eine gute und konstruktive Zusammenarbeit auch in den kommenden Jahren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
© Bild: KZBV/Spillner